Gastartikel: Konditionieren versus Kommunizieren
5.06. 2013
Konditionieren vs. Kommunizieren?
SEHR GUTER ARTIKEL VON MEINER KOLLEGIN MIRJAM AULBACH AM 29. MAI 2013:
“Ich arbeite nicht über Konditionierung mit Hunden. Ich kommuniziere mit ihnen!”
Irgendwie klingt das ja gut. Konditionierung, das klingt so technisch. Seelenlos.Kommunikation hingegen weckt ein Bild von Verstehen und Verstanden werden, vom einem Miteinander und einer Beziehung…
Genau betrachtet ist die Aussage völliger Humbug.
Konditionierung
Die Konditionierung ist ein Lernprozess: zwei Ereignisse, die zeitnah auftreten, werden miteinander verknüpft. Das Gehirn unserer Hunde ist auf diesen Prozess ausgelegt! Werden Nervenzellen gemeinsam erregt, wird die Verbindung zwischen diesen Zellen immer weiter ausgebaut und fördert damit die Informationsübertragung innerhalb des Gehirns. Die Übertragung von Informationen zwischen den Zellen, die über die sogenannte Synapse stattfindet, verändert sich, die Reaktionsbereitschaft der Nervenzellen untereinander steigt. Eine Assoziation hat statt gefunden. Diese Assoziationen sind Konditionierungen!
Die Neurowissenschaften haben dafür einen Merksatz:
Cells that fire together, wire together.
Quelle: Donald Olding Hebb, kognitiver Psychobiologe und Professor für Psychologie
Sinngemäß kann das übersetzt werden mit “Zellen, die gleichzeitig feuern, verbinden sich miteinander.”
Mit dieser Entdeckung wurde der Begriff der synaptischen Plastizität geschaffen. Die synaptischen Plastizität gilt als neurophysiologische Grundlage von Lernen und Gedächtnis!
Die Konitionierung – ob nun klassisch oder operant – ist ein grundlegender Prozess im Gehirn unserer Hunde. Die Fähigkeit, Ereignisse miteinander in Verbindung zu bringen und Verhalten entsprechend anzupassen, ist über lange Zeit in der Evolution entstanden, ist existenziell und ist jedem einzelnen unserer Hunde angeboren.
Um Hunden also artgerecht oder hundegerecht oder natürlich erziehen zu wollen, macht es Sinn, auf diese Fähigkeiten zuzugreifen.
Darstellung einer Synapse, by Curtis Neveu, via Wikimedia Commons
Kommunikation
Kommunikation ist in Wikipedia beschrieben als
Kommunikation (lateinisch communicare „mitteilen“) ist der Austausch oder die Übertragung von Informationen. „Information“ ist in diesem Zusammenhang eine zusammenfassende Bezeichnung für Wissen, Erkenntnis oder Erfahrung.
Quelle: Wikipedia – Kommunikation
Genauer betrachtet müssen die Informationen, die ausgetauscht haben, für alle Beteiligten der Kommunikation einen Bedeutungsinhalt haben. Gibt mir jemand eine Information auf russisch weiter, findet keine echte Kommunikation statt, weil ich (der Empfänger) vielleicht noch mitbekomme, dass ich gerade eine Information bekomme, aber dieser keinerlei Bedeutung entnehmen kann. Ich verstehe sie schlicht und ergreifend nicht.
Fun Fact…
… Moment? Informationsübertragung mit gleichem Bedeutungsinhalt? War von so was nicht schon einmal die Rede in diesem Text? Doch, genau! Ein Stück weiter oben: “Werden Nervenzellen gemeinsam erregt, wird die Verbindung zwischen diesen Zellen immer weiter ausgebaut und fördert damit die Informationsübertragung des Gehirns.” Das heißt ja, wenn ich meinen Hund “konditioniere”, dann fördere oder schaffe ich gar eine Kommunikation zwischen seinen Nervenzellen. Na wenn das nichts ist 😉
Noch genauer betrachtet, müssen die Informationen, die ausgetauscht werden, für alle Beteiligten der Kommunikation den gleichen Bedeutungsinhalt haben! Sonst passiert das gleiche, wie im Beispiel vorher: Sender und Empfänger wissen beide darüber, dass gerade Informationen ausgetauscht werden, aber die Bedeutung dieser Information ist unklar. Wer denkt, dass das jetzt ein wenig kleinlich ist, der darf sich gerne umschauen, wie viel Literatur, Kurse und Fortbildungen es zum Thema “Kommunikation” gibt!
Das Vier-Seiten-Modell ist ein (nicht das einzige) Modell der Kommunikationspsychologie, das zeigt, wie Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Menschen entstehen können. Es führt zu Lösungsansätze, wie man lernen (!) kann, diese Missverständnisse zu minimieren. Wohlgemerkt: Hier geht es um Kommunikation zwischen Menschen, die die gleiche Sprache sprechen. In anderen Fällen steht vorher noch ein ganz anderer Lernprozess: Eine Fremdsprache lernen!
Wie wird eine Information mit einem eindeutigen Bedeutungsinhalt gefüllt?
Nehmen wir ein ganz bekanntes Beispiel. Mensch sagt “Sitz” und der Hund setzt sich. Das war eine erfolgreiche Kommunikation. Und gelernt hat der Hund die Vokabel “Sitz” durch Konditionierung.
Nun möchte ich aber “Sitz” nicht konditionieren, ich will ja mit meinem Hund kommunizieren! Was mach ich?
Ein fiktives Beispiel (denn ich mache das nicht so!):
Mein Hund steht vor mir. Ich sage “Sitz”. Es passiert nichts – wie auch. Ich beuge mich leicht nach vorne – nur Zentimeter. Nichts passiert. Ich sage, mit “strengerer” Stimme noch einmal “SITZZZZ” und beuge mich noch ein Stück nach vorne. Mein Hund geht mit dem Hintern auf den Boden. Ich stelle mich gerade und lächele meinen Hund an und sage “Gut gemacht.”
Ergebnis? Langfristig setzt sich mein Hund, wenn ich “Sitz” sage.
Und warum?
Frontales Stehen und vorbeugen ist bedrohlich für meinen Hund. Je nach Hundetyp reicht die Bandbreite von leicht unangenehm bis sehr bedrohlich. Für die “strenge” Stimme und das langgezogene “SITZZZZ” gilt das gleiche, das ist eher bedrohlich. Das ZZZZZ am Ende ist ein Zischlaut, der (genetisch verankert!) mehr oder minder stark hemmend wirken kann. Um meinem Körper auszuweichen, nimmt der Hund seinen Körperschwerpunkt zurück und landet mit dem Hintern auf dem Boden. In diesem Moment nehme ich meinen Körperschwerpunkt zurück, lächele und sage mit netter Stimme etwas.
Bei uns heißt das übliche “Sitz” übrigens “Setzen”. Das Wort “Sitz” schien durch klassische Konditionierung mit unangenehmen Emotionen belegt zu sein.
Was ist passiert?
Der Hund hat gelernt: WENN meine Bezugsperson “Sitz” sagt, wird es unangenehm. Das unangenehme kann ich abstellen, in dem ich meinen Hintern auf den Boden bewege. Hört das unangenehme auf, ist der Hund erleichtert und fühlt sich besser. Und um zu vermeiden, dass es überhaupt erst unangenehm wird, bewegt er seinen Hintern schnell auf den Boden, wenn er “Sitz” hört. Es hat ein Lernprozess stattgefunden: negative Verstärkung. Und das heißt, der Hund hat über operante Konditionierung gelernt.
So viel zum Vorsatz: “Ich kommuniziere und konditioniere nicht!”
Es geht nicht. Alles, was möglich ist, ist, dass ich als Mensch mir nicht bewußt bin, dass Konditionierung statt findet. Nur: Sie findet statt.
Amerikanisches Fingeralphabet. Kommunikation, die gerlernt wird.
Kommunikation noch tiefer?
Nun kann man einwenden: Dass der Hund das vobeugen, die Stimme und das ZZZZ bedrohlich empfunden hat, das ist Kommunikation! Das stimmt. Hunde können körpersprachliche Signale von Menschen deuten und ihr Verhalten darauf einstellen. Zum einen, weil sie es im Laufe ihres Lebens gelernt haben (über Konditionierung… so ists halt!). Zum anderen aber auch von Geburt an!
Es gibt Versuche mit Hunden und Wölfen, die zeigen, dass Hunde eine viel ausgeprägtere “Kommunikationsfähigkeit” mit Menschen haben als Wölfe. Beispielsweise gibt es einen Versuchsaufbau, bei dem Futter unter einem von zwei Behältern versteckt wurde. Die Bezugspersonen der getesteten Hunde tippten mit dem Finger direkt auf den be-futterten Behälter oder zeigten im Abstand von fünf oder fünfzig Zentimeter darauf. Alle Hunde konnten ALL diese Gesten verstehen. Die Wölfe, die von Geburt an an Menschen gewöhnt waren, konnten lediglich verstehen, wenn der Mensch direkt auf den Behälter tippte. Mehr noch: Selbst Hundewelpen, die NIE mit Menschen zusammen gelebt haben, konnten die Fingerzeige allesamt verstehen.
Die Fähigkeit, verschiedene Signale des Menschens zu verstehen (also: “in Kommunikation zu sein”) ist genetisch verankert bei unseren Haushunden. Dies war und ist für das Überleben dieser Spezies wichtig, also hat sich die Fähigkeit in der Evolution entwickelt und gehört bis zu einem gewissen Grad zum “natürlichen” Verhaltensrepertoir unserer Hunde.
Was stand am Anfang dieser Entwicklung? Lernprozesse. Nämlich Kontionierung. Und was ist für das Aufrechterhalten und Weiterentwicklung dieser Fähigkeit wichtig? Konditionierung. Wie lange würden die Hunde aus dem Beispiel dem Fingerzeig des Menschens folgen, wenn dieser sie jedesmal zu einem leeren Behälter führen würde? Oder gar zu einem Behälter, in dem etwas bedrohliches ist? Was passiert, wenn nach dem Zischlaut jedesmal eine super angenehme Konsequenz für den Hund folgt? Die Lernerfahrung – Konditionierung – würde die Interpretation der Signale verändern. Und damit die Kommunikation.
Brailleschrift – eine weitere Form von lernbarer Kommunikation. Lernen und damit Konditionierung spielt eine wesentliche Rolle, wenn es um “Kommunikation” geht.
Ein Fazit
Die Unterscheidung zwischen Konditionieren und “Kommunizieren ist ein künstliches Konstrukt, dieses Prozesse sind nicht trennbar. In einem Großteil der Fälle, wenn Verhalten unserer Hunde verändert wird, spielt vor allem Konditionierung eine Rolle (Anm.: Neben der Konditionierung gibt es noch weitere Lernformen, die Verhalten von Hunden verändern können, wie die Habituation. Diese fallen allerdings im Hundetrainingsalltag wenig ins Gewicht). Eine Verhaltensänderung ohne Konditionierung gibt es quasi nicht.
Mehr noch:
Es gibt keine Erziehung ohne Konditionierung!
Wir können die Gehirne unserer Hunde nicht ausschalten. Niemand, kein einziger Mensch auf dieser Welt, ist in der Lage, einen Hund ohne Konditionierung zu erziehen.
Wer sagt “Ich erziehe (meine) Hunde nicht über Konditionierung” trifft eine deutliche Aussage (man verzeihe mir die Deutlichkeit): “Ich habe nicht den kleinsten Schimmer davon, wie Hunde lernen.”
Aber…!
Ich habe den Text bewußt auf die Begriffe Kommunikation und Konditionierung beschränkt und den Bereich der Kommunikation nur einem speziellen Bereich “Hund-Mensch” gewidmet.
Das kann natürlich viele “Abers” provozieren:
- Aber: Hunde konditionieren sich ja auch nicht, die kommunizieren!
Jein. Hunde verfügen über große Bandbreite an Signalen, die genetisch verankert sind. So wie bei uns Menschen gentische verankert die Fähigkeit der Kommunikation über Gesten und die Fähigkeit, Sprache zu lernen (lernen!) angelegt ist. Diese Signale sind in der Evolution durch Lernprozesse entstanden und werden im Alltag über Lernprozesse (Konditionierung!) ausgebaut und verfeinert!Hunde verstehen sich mitnichten immer und überall mit jedem Artgenossen! Das zeigt, wie groß der Faktor lebenslanges “Lernen” auch im Bereich der Hund-Hund-Kommunikation ist. Sehr viele Dinge müssen und werden über Prozesse der Konditionierung gelernt, ausgebaut und verfeinert! Schaut man sich das Verhalten von Hunden genau an, kann man dies gut erkennen.
Und schaut man sich das Ausdrucksverhalten von Hunden, die angemessen miteinander kommunizieren, genauer an, erkennt man, dass da ganz viele Prozesse der positiven und negativen Verstärkung laufen.
- Aber: Ich will mit meinem Hund kommunizieren wie ein anderer Hund, dann versteht er das!
Wie schon gesagt, auch in der Hund-Hund-Kommunikation kann man die Konditionierung nicht einfach weglassen. Sie findet immer statt und beeinflusst das Kommunikationsverhalten. Der nächste, ganz große Punkt bei diesem Thema ist: Menschen sind keine Hunde! Und unsere Hunde wissen das natürlich.Wie kann ein Hund dem Fingerzeig eines Menschens folgen? Hunde haben keine Finger. Sie stehen nicht vor Behältern und strecken ihren Arm aus und zeigen mit dem Finger auf etwas. Trotzdem können Hunde diese Geste bei einem Mensch als Information wahrnehmen und verarbeiten.
Ich als Mensch bin nicht in der Lage, körpersprachlich wie ein Hund zu agieren. Das beginnt bei dem Problem, wie ich meine Rute bewegen sollte, geht über die Frage “Wie um alles in der Welt soll ich meine Ohrbasis ein Stück nach hinten nehmen” und setzt sich fort bis “Warum schnüffele ich eigentlich nicht zur freundlichen Begrüssung meines Hundes an seinem Analbereich”?
Sicher kann man diese Aufzählung noch eine Weile weiterführen… jedes “Aber” wäre schon einen eigenen Artikel wert. Und vielleicht gibt es diese Artikel irgendwann auch noch 😉
Ich konditioniere bewußt und wissentlich meinen Hund – und die Katzen 😉 – und dadurch entwickelt sich zwischen uns eine wirklich gute Kommunikation. Die Angst, das “konditionieren” emotionslos sein und sich dadurch keine “Beziehung” bilden kann, ist völlig unbegründet. Wir haben so viel Beziehung wie nur geht 🙂
Links zum Thema
- Ganz aktuell: Keine Angst vorm Konditionieren
- Lernen von Zelle zu Zelle — dasGehirn
- Kognition im Tierreich: Hund denkt mit
- Kommunikation: Schau mir in die Augen! – Gehirn&Geist
- Einführung in die Psychologie der Werbung
- Neurobiologie-Skripte – Lernprozesse
- Verhalten und Neurobiologie: Konditionierung
- Spektrum: Hunde so intelligent wie zweijährige Kinder
- Dogs’ Gaze Following Is Tuned to Human Communicative Signals
- Psychophysiologische Korrelate der Sprachverarbeitung im menschlichen Gehirn
- Netzwerke im Gehirn und im Leben
- Habituierung, Sensitivierung & Co.
- PDF: Kann man Kommunikation lernen? Zur Veränderbarkeit von Kommunikationsverhalten durch Kommunikationstraining